Können Sie sich ohne Kinder vorstellen?

Wenn ich an meine diversen Vorstellungsgespräche denke, kann ich die Frage auf dem abgebildeten Schild ganz klar mit „Ja“ beantworten. Obwohl, wenn ich Jonathan und Jamiro-Kai mit zu Vorstellungsgesprächen genommen hätte, könnte ich mich gut rausreden, warum ich den Job nicht bekommen habe. Natürlich ist das Schild anders gemeint. Das Schild gibt es übrigens wirklich hier in Kiel und ist keine Photoshop-Spielerei. Da sollte eigentlich stehen: Können Sie sich ein Leben ohne Kinder vorstellen? (Kalauer am Rande: Wer hat denn da dem Schildermacher das Leben genommen?) Die Antwort fällt bei jeder oder jedem anders aus. Wer keine Kinder hat, obwohl der Wunsch da ist, wird melancholisch sagen. Nein, ohne Kinder ist alles nix. Wer Kinder hat, antwortet eventuell ganz heimlich: Mit Kindern ist manchmal auch alles nix. Ist auch ok. Jeder, wie er will. Oder wie der Kölner sagt: Jeder Jeck ist anders. Niemand ist verpflichtet zu behaupten, dass nur ein Leben mit Kindern lebenswert ist.
Dennoch gibt es ziemlich viele Menschen, die sehr gerne Kinder haben möchten. Um mal eines klar zu stellen: Wir sind sehr spät Eltern geworden und uns hat weniger der Umstand belastet, keine Kinder zu haben, als die ständige Fragerei, warum wir keine Kinder haben. Oder die Unterstellung, wir wären karrieregeil. Wer meine Frau und mich kennt, weiß, dass wir alles andere als karrieregeil sind. Wir hatten als DINKS (double Income, no kids) weder eine Breitling-Uhr, noch eine Louis Vuitton-Tasche oder ein BMW-Cabrio. Und wir waren noch nie auf den Malediven. Wir hatten einfach keine Kinder. Und es gibt Menschen, die damit sehr gut klar kommen oder das genauso wollen. Auch das ist ok. Falsche oder zu häufige Fragen zum Thema Kinder kommen in etwa so gut an, als wenn man leicht übergewichtigen Damen gratuliert und fragt, wann denn der Nachwuchs schlüpft...
Wer irgendwann doch einmal Kinder haben möchte, sollte hier weiterlesen. Doch doch, ich kann auch anders als ironisch... Aus eigener Erfahrung kenne ich die Gedanken, die man sich macht, wenn man grundsätzlich Nachwuchs haben möchte, es aber nicht klappt. Erste Variante: Man lässt medizinisch nachhelfen. Das ist ein sehr komplexes Thema, mit dem man sich bei Interesse lange vorab intensiv beschäftigen sollte. Die Wahrscheinlichkeit, dass es klappt ist nicht so riesig groß und es ist recht aufwändig – psychisch wie physisch. Daher scheuen Viele diesen Weg, der zudem kostspielig und unter Umständen erfolglos sein kann.
Aber es gibt Alternativen. Viele Erwachsene wünschen sich Kinder. Viele Kinder wünschen sich Erwachsene – genauer: eine (andere) Familie. Es gibt zwei Wege, diese Menschen zueinander zu bringen. Der erste ist die Adoption. Der bekanntere der Wege. Doch auch dabei gibt es viel „gefährliches Halbwissen“. Um sich eingehender mit dem Thema zu beschäftigen, gibt es eine Reihe von Ratgebern und Internetseiten. Ich empfehle hier selten was und verkaufe hier auch nichts. Heute empfehle ich aus gutem Grund https://www.mamiweb.de/…/voraussetzungen-fuer-eine-adopti…/1

Mamiweb ist eine richtig umfassende Seite, die viel mehr zum Thema Adoption beitragen kann, als ich. Zumal ich selbst keinerlei Erfahrungen mit dem Thema Adoption habe. Wir haben uns lange damit beschäftigt, aber es gab diverse Gründe, das nicht weiter zu verfolgen. Heute kennen wir einige Fälle, bei denen Adoption Kindern und Eltern zum Glück verholfen hat. Also, Lesen bei mamiweb ist schon mal der erste Schritt.

Unser Weg war ein anderer. Jamiro-Kai ist seit drei Jahren unser Pflegekind. Nach vielen Gesprächen weiß ich: ZumThema Pflegekinder gibt es nicht das „gefährliche Halbwissen“ sondern das noch viel gefährlichere „Achtel- bis Sechzehntel-Wissen“. Ich versuche das Thema hier kurz darzustellen. Wer Interesse hat, kann mir gern eine Mail schicken an: philipstahl@yahoo.com.
Vieles ist beim Thema Pflegekinder ähnlich zur Adoption. Bei einer Adoption in der eigenen Stadt hat man auch mit dem Jugendamt zu tun, durchläuft mehrere Überprüfungen und ist letztlich für eine Adoption oder ein Pflegekind nach Meinung des Jugendamtes geeignet – oder eben auch nicht. Was jeder verstehen sollte: Jugendämter suchen für Kinder die passenden Eltern. Nicht umgekehrt. Es ist kein Geschäft, bei dem man ein Kind „bestellt“. Sonst hieße es auch eher Elternamt...

Was wir bis heute toll finden: Das Jugendamt steht uns stets zur Seite und hat ein zusätzliches Auge darauf, dass Jamiro-Kai sich bestens entwickelt. Wir kennen schon einiges: Logopädie, Ergotherapie, Physiotherapie, Pädaudiologie. Dazu gibt es pro Jahr zwei bis drei Gesprächstermine – aber immer angekündigt. Die leiblichen Eltern von Jamiro-Kai dürfen ihren Sohn regelmäßig sehen. Das findet bei uns alle sechs Wochen für eine Stunde beim Jugendamt statt. Das ist wirklich sehr wenig Aufwand.

Da das Jugendamt den finanziellen Aufwand für einen Kinderheimplatz für Jamiro-Kai spart, bekommen wir jeden Monat einiges an Geld. Das war für uns kein Argument, aber das gibt es bei Adoptionen auch nicht. Ebenso bekommt man Kindergeld und Freibeträge wie bei einem leiblichen Kind. Das Wichtigste: Bei der Anbahnung, ein Pflegekind aufzunehmen, entscheidet man sich für Kurzzeit oder Dauerpflege. Wir haben uns für die Dauerpflege entschieden, weil wir als Familie zu viert sein wollten. Und es sieht gut aus, dass Jamiro-Kai für immer bei uns bleibt. Wir wurden oft gefragt, wann Jamiro-Kai uns wieder verlässt. Idealerweise gar nicht. Diese Frage – die wir von fast jedem gestellt bekommen - zeigt, wie wenig bekannt es ist, dass es die Dauerpflege gibt.
Anders ist das bei der Bereitschaftspflege. Da bekommt man eventuell von heute auf morgen ein Kind und hat es so lange zuhause, bis es eine andere Lösung für das Kind gibt. Das ist etwas völlig anderes als bei uns. Wer das macht, leistet Tolles. Da das aber komplett anders aussieht, als bei uns, kann und möchte ich mich dazu nicht äußern.

Zugegeben: Wir haben mit Jamiro-Kai und der Dauerpflege sehr viel Glück. Wir kennen durchaus Geschichten von Pflegekindern, die selbst mehr Probleme mitbringen – gesundheitlich, psychisch... – und die leibliche Eltern haben, die die Pflegschaft nicht gerade erleichtern. Aber diese bedauerlichen Geschichten schrecken leider oft latent interessierte Menschen ab. Jamiro-Kai beweist: Es kann auch gut ausgehen. Alle Herausforderungen, die wir mit ihm haben, können andere Eltern mit leiblichen Kindern in gleicher Weise haben. Ich kann nur an alle, die einen Kinderwunsch haben, appellieren, sich mit dem Thema Pflegekinder mal zu beschäftigen. Vieles stellt sich anders da, als „man mal irgendwo gehört hat“. Und die vielen Texte im Internet verbreiten natürlich auch nicht immer die volle Wahrheit – dieser Text gehört natürlich nicht dazu .

Wir kennen auch Pflegeeltern, deren leibliche Kinder schon ausgezogen sind. Und statt leere Kinderzimmer unter zu vermieten oder dort eine Modeleisenbahn reinzubauen haben diese lieben Menschen sich entschieden, dort Pflegekinder einziehen zu lassen. Auch ein schöner Weg und eine schöne Aufgabe.

Wie gesagt: Wir wissen, dass wir sehr viel Glück haben und freuen uns, dass Jonathan von Jamiro-Kai immer von seinem Bruder spricht. Um ein zweites Kind zu haben, hatten wir keine wirkliche Alternative. Somit ist es für uns also eine Win-Win-Win-Win-Situation, bei der meine Frau, Jonathan, Jamiro-Kai und ich profitieren.

Da dies ein sehr persönliches Thema ist, kann man mir Fragen besser per E-Mail stellen und nicht über die für alle sichtbaren Kommentare. Likes und andere Belobigungen (ok, vielleicht auch Kritik...) nehme ich wie immer gern über die Kommentare entgegen.
Viele Grüße an alle!

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