Früher war alles damals

Früher war alles damals

 

Wenn man Kinder hat, vergeht die Zeit besonders schnell. Gestern noch volle Windeln entsorgt und zack, diskutiert man, ob ein Handy zum absolut Notwendigsten im Leben gehört. Wer diesen Blog ab und zu gelesen hat (und es jetzt gerade wieder macht, danke!), weiß, dass knallharte Recherche zu den wirklich wichtigen Themen nur hier stattfindet. Vergesst FAZ und Spiegel, das ist Kindergeburtstag gegen meine Themen. OK, hier und da verliere ich mich in mehr oder weniger sinnvollen Zahlenspielen. Aber mich beschäftigt so etwas und vielleicht hilft es dem einen oder der anderen, sinnloses Zeit-Totschlagen etwas angenehmer zu gestalten.

 

Als ich neulich Jonathan ins Bett gebracht habe, hat mich ein Gedanke beschäftigt. Sein Einschlaf-Ritual besteht daraus, dass ich mich ca. 30 Minuten lang zu ihm ins Bett lege. Mein Plan dabei ist, möglichst gar nicht und schon gar nicht vor ihm einzuschlafen. Um mich wach zu halten denke ich über die wirklich wichtigen Dinge im Leben nach. Neulich war das Musik: In diesem Jahr wird der Monster-Smash-Hit „You´re my heart, you´re my soul“ von Modern Talking 35 Jahre alt – er kam 1984 in die Hitlisten. Wir erinnern uns: Modern Talking steht für Deutsches Kultur-Gut und ist in einem Satz mit früheren Schöpfern niveauvoller Musik zu nennen: Bach, Beethoven, Brahms und Bohlen - gewissermaßen die B-Promis der Musik-Welt. Man kann das Stück gut oder grottig finden, Geschmäcker sind verschieden. Aber jeder dürfte es kennen. Mein Gedanke: Was war damals, vor 35 Jahren ein seinerzeit 35 Jahre alter Hit? Zugegeben, das musste ich googeln. Aber interessanterweise gab es Suchtreffer unter dem Begriff „Deutsche Charts 1949“. Und damals, 1949, war einige Wochen auf Platz 1: Rudi Schuricke mit dem Lied „Capri-Fischer“. So ziemlich jeder – auch die deutlich nach 1949 Geborenen, dürften sich an die Zeile: „Wenn bei Capri die rote Sonne im Meer versinkt“ erinnern. Das könnte jetzt einen ähnlich langlebigen Ohrwurm erzeugen, wie „You´re my heart, you´re my soul“. Schulligung. Mir kommt es vor, als wäre Modern Talking gestern erst erfolgreich geworden und ich hätte gerade erst mit Mitschülern darüber gelästert, wie blöd ich Modern Talking finde. Und 1984 haben vielleicht andere genau so über die Capri-Fischer hergezogen. Das sind Momente, in denen ich mich besonders alt fühle. Rudi Schuricke war 1949 in den Charts, fünf Jahre bevor Deutschland sensationell Fußball-Weltmeister in Bern wurde. Modern Talking hatte den ersten Hit fünf Jahre vor dem Fall der Mauer. Ein Zufall? Sicherlich. Letztlich waren beide äußerst wichtig für uns alle – sowohl Rudi Schuricke als auch Modern Talking...

 

 

 

Was hat das mit „Schiebende Väter“ zu tun? Mehr, als kritische Leser zunächst denken. Jonathan ist erst sieben, Jamiro-Kai wird in zwei Wochen vier. Für sie sind die Hits von Modern Talking und auch akzeptablere Musik der letzten Jahrzehnte Oldies. OK, ich als Vater gehöre auch dazu. Neulich habe ich Jonathan erzählt, dass es früher Schwarz-Weiss-Fernseher gab. Ohne Fernbedienung und viel voluminöser als heute. Es gab keine Handies, keine schnurlosen Telefone und keine Laptops. Es gab im Fernsehen nur drei Programme und ein Testbild. Selten habe ich beim Erzählen in ein verständnisloseres Gesicht gesehen. Egal, er und Jamiro-Kai wachsen mit ganz neuen Problemen auf: Warum ist hier kein W-Lan? Warum passiert nichts, wenn ich über den Bildschirm vom Fernseher wische? Analog habe ich es in meiner Kindheit nicht verstanden, dass es 1949 gar kein Fernsehen gab, dass damals alle Jungs auch im Februar mit kurzen Hosen rausgegangen sind und zum Glück war auch der Mangel an allem nach dem Krieg für mich nie ein Problem – so alt bin ich denn doch nicht.

 

Früher fand ich es fürchterlich, wenn „alte Säcke“ von damals erzählen. Heute bin ich selber ein „alter Sack“. Kinder halten zwar jung, aber ich fühle mich manchmal so tierisch alt. Wie geht es Euch?
Was sind Eure Erlebnisse zum Thema „Damals“. Erwischt Ihr Euch auch dabei, dass Ihr von früher erzählt oder wenigstens daran denkt? Und wer gibt zu, bei Rudi Schuricke und Modern Talking im Auto laut mitzusingen...? Ich bin gespannt auf alle Kommentare von Leidensgenossen.

Kommentar schreiben

Kommentare: 0